Reagan geht als Präsident in die Geschichte ein, der den Amerikanern nach Jahren des Malaises zu neuer Zuversicht verhalf und nach einer scharf antikommunistischen Politik noch die Hand zur Überwindung des Kalten Krieges ausstrecken konnte.
Kein amerikanischer Präsident hat länger gelebt als Ronald Reagan, der am Samstag im Alter von 93 Jahren von seiner langen Krankheit erlöst wurde, und kein Präsident hat sein Amt in höherem Alter angetreten als 1981 der damals fast 70-jährige Republikaner. Aber bemerkenswerterweise verbindet sich die Erinnerung an ihn nicht mit dem Bild eines greisen Staatsführers, sondern mit jenem eines fast bubenhaft schmunzelnden Mannes, der einen ansteckenden Optimismus versprühen konnte.
Reagan war überzeugt, dass das Beste für Amerika erst noch bevorstand. Sein tiefer Glaube an die Kraft amerikanischer Werte und seine herausragende Fähigkeit, diese Zuversicht auf die Herzen der Einwohner zu übertragen, bildeten die Quelle seines politischen Erfolges. Auch wenn seine Regierungstätigkeit im Einzelnen kontrovers blieb, war Reagan über die Parteigrenzen hinweg ein Präsident, wie sich ihn die meisten Amerikaner eigentlich wünschen - geradlinig, visionär und doch erdverbunden, einer von ihnen.
Der Präsident als Schauspieler
Als ehemaliger Radiosprecher und Filmschauspieler war Reagan professionell auf diese Rolle vorbereitet. Er wusste um ihre Bedeutung im Fernsehzeitalter und spielte sie virtuos. Als er 1981 den glücklosen Demokraten Carter ablöste, befand sich das Land in einem wirtschaftlichen Niedergang, mit hoher Inflation und steigender Arbeitslosigkeit. Die Ohnmacht gegenüber der monatelangen Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft von Teheran hatte eine niederschmetternde Wirkung hinterlassen. Die sowjetische Besetzung Afghanistans erweckte den Anschein, der Kommunismus sei weltweit auf dem Vormarsch. Die Nation litt aber auch noch immer unter den psychologischen Folgen des Vietnamkriegs und des Watergate-Skandals.
Reagan entpuppte sich in dieser Situation als Meister einer einfachen Botschaft – weniger Staat, stärkere Verteidigung, patriotische Werte. Mit seinem konservativen Programm, mit dem der frühere Gouverneur Kaliforniens selbst in der Republikanischen Partei ursprünglich am rechten Flügel gestanden und die Nomination zum Präsidentschaftskandidaten erst im dritten Anlauf errungen hatte, gewann er nicht nur einen überwältigenden Sieg gegen Carter, sondern auch die Unterstützung vieler Demokraten im Kongress.
Wie seine Verbündete Margaret Thatcher in London leitete er eine «konservative Revolution» ein, senkte die Steuern und erhöhte die Militärausgaben. Seine Wirtschaftspolitik folgte der Annahme, dass eine tiefere Fiskalbelastung die Volkswirtschaft beleben müsste, was mit der Zeit die gestiegenen Haushaltdefizite zum Verschwinden bringen würde. Sein parteiinterner Rivale George H. W. Bush bezeichnete dies als «Voodoo-Wirtschaftslehre», bevor ihn Reagan zu seinem «Running-Mate» erkor. Die «Reaganomics» bleiben bis heute heiss umstritten – nicht zuletzt deshalb, weil der heutige Präsident gegen demokratische Widerstände ähnliche Rezepte verficht.
Reagan musste sich in seinen ersten beiden Amtsjahren vorwerfen lassen, die Rezession nur noch zu verschärfen. Die Kürzung von Sozialprogrammen, während die Arbeitslosigkeit auf zehn Prozent stieg, wirkte auf viele Amerikaner herzlos. Doch dann ging es aufwärts. Es begann eine lange Aufschwungphase, die über Reagans Regierungszeit hinaus andauerte, und das Gespenst der Hochinflation ist bis heute nicht zurückgekehrt. Die Kehrseite, jahrelange Haushaltdefizite und eine Verdreifachung der Staatsschuld, wurde von der Regierung aber verniedlicht. Schon Reagan und dann seine Nachfolger sahen sich zu einer neuerlichen Anhebung der Steuern gezwungen, bevor der Haushalt unter Clinton wieder ins Lot kam.
Auf der andern Seite erwies sich die Staatsschuld unter Reagan nicht als jene Zeitbombe, vor der die Kritiker gewarnt hatten. Entscheidender war das Vertrauen in die Zugkraft der Wirtschaftslokomotive, das Reagan mit seiner Politik zu stärken vermochte. Zu Recht würdigte Bush junior den Verstorbenen in Paris mit den Worten, unter ihm habe Amerika eine Ära der Gespaltenheit und der Selbstzweifel hinter sich gelassen.
Scharfer Antikommunist
Noch älter als sein wirtschafts- und sozialpolitischer Konservatismus - Reagan hatte sich ursprünglich als linker Demokrat gefühlt - war sein feuriger Antikommunismus. Als Leiter einer Filmschauspieler-Gewerkschaft kämpfte er in den fünfziger Jahren gegen die vermeintliche kommunistische Unterwanderung Hollywoods. Schon früh vertrat er die Auffassung, die Eindämmung des Sowjetkommunismus reiche nicht; Ziel müsse dessen Niederwerfung sein. Nicht nur im Ausland, sondern auch bei den Vertretern der realistischen Denkschule der amerikanischen Aussenpolitik schuf er sich damit das Image eines naiv-gefährlichen Revolverhelden. Als Präsident begann er antikommunistische Aufstandsbewegungen in aller Welt zu unterstützen, eine Politik, die den Namen «Reagan-Doktrin» erhielt.
Ihre Resultate waren jedoch gemischt. In Afghanistan vermochten die Mujahedin dank amerikanischem Geld und Waffen die sowjetischen Besetzer Ende der achtziger Jahre zum Abzug zu bewegen. Unbewusst haben die USA damit aber auch einen militanten Islamismus gefördert, an dem sie sich immer noch die Zähne ausbeissen.
In Nicaragua, wo die Contras gegen die Regierung der marxistischen Sandinisten aufgebaut wurden, war es zuletzt eine Kombination von Faktoren, die zu einem friedlichen Machtwechsel an der Wahlurne führte. Zuvor aber verwickelte sich die Administration Reagan dort in tiefe moralische Widersprüche. Dazu trugen nicht nur die Menschenrechtsverletzungen der Contras bei, die Reagan einmal mit den amerikanischen Gründervätern verglichen hatte, sondern vor allem die zynische Überweisung von Schwarzgeldern nach Nicaragua, die Washington mit dem Verkauf von Waffen an die Teheraner Ayatollahs eingenommen hatte. Das Waffengeschäft wiederum hatte - mit Wissen Reagans - dem Freikauf von amerikanischen Geiseln in Libanon gedient.
Erfolgreicher Druck auf den Kreml
Die Aufdeckung der Iran-Contra-Affäre im Jahr 1986 überschattete den Rest der zweiten Amtszeit Reagans, änderte jedoch nichts daran, dass er 1989 als populärster Präsident seit der Durchführung repräsentativer Meinungsumfragen abtrat. Der Kommunismus war zu diesem Zeitpunkt nicht nur in der Dritten Welt auf dem Rückzug, sondern zeigte vor allem auch in seinem Machtzentrum – Moskau – deutliche Zersetzungserscheinungen.
Wie gross Reagans Anteil an diesem Resultat war, darüber werden noch ganze Historikergenerationen debattieren. Sicher scheint, dass der Amtsantritt Reagans dem Kreml die Illusion raubte, die USA würden unter der Last ihrer Selbstzweifel und der Wirtschaftslage den Willen zu entschlossener antikommunistischer Gegenwehr nicht mehr aufbringen. Mit der provokativen Stationierung von Mittelstreckenraketen in Westeuropa, der Erhöhung der Militärausgaben und der Lancierung der Strategischen Verteidigungsinitiative («Star Wars») nahm Reagan eine vorübergehende Verschärfung der Spannungen zwischen den Supermächten in Kauf.
Dies verstärkte den Druck auf das Politbüro in Moskau, einen Ausweg aus dem ruinösen Rüstungswettlauf zu suchen. Der Aufstieg Gorbatschows an die KP-Spitze 1985 war ein klares Signal, dass der Ruf nach Reformen nun auch in der verknöcherten Parteielite nicht mehr zu unterdrücken war. Nach anfänglichem Misstrauen bot Reagan Hand zu einem Dialog mit Gorbatschow, angefangen vom historischen Gipfeltreffen in Genf bis zum Abkommen zur Ausschaltung sämtlicher Mittelstreckenraketen 1987. Als Reagan aus dem Amt schied, hatte der Kommunismus schon viel von seinem Schrecken verloren, und der Fall der Berliner Mauer war nur noch einige Monate entfernt.
Den 40. Präsidenten deswegen als Bezwinger des Sowjetsystems zu bezeichnen, wie dies seine Verehrer gerne tun, würde der Komplexität der damaligen Vorgänge aber nicht gerecht. Auch ohne Reagans harte Linie waren die sinkenden Wachstumszahlen, die Verkalkung des politischen Systems und die immer weltfremdere ideologische Phrasendrescherei in Moskau Alarmzeichen genug, die nach Reformen schrien. Tiefgreifende demographische Veränderungen warfen zudem schon vor Reagan die Frage nach dem zukünftigen Zusammenhalt des Moskauer Imperiums auf. Mit seinem konsequenten Kurs hat Reagan aber den Reformdruck in Moskau erhöht und die anschliessenden Zerfallprozesse wahrscheinlich beschleunigt. Mit seiner undiplomatischen Ausdrucksweise (die Bezeichnung der Sowjetunion als das «Imperium des Bösen» oder der Aufruf «Herr Gorbatschow, reissen Sie diese Mauer nieder!») verriet er zudem Gespür für treffende Worte, auch wenn sie der Expertenwelt damals furchtbar simpel vorkamen.
Bush junior - Reagans Sohn?
Ähnliches wie über Reagan wird heute über George W. Bush gesagt, wobei sich manchmal der Eindruck aufdrängt, der heutige Chef im Weissen Haus versuche das erfolgreiche Vorbild geradezu krampfhaft zu kopieren. Aber die Parallelen sind offensichtlich, und manchen scheint es, als wäre Reagan - und nicht Bush senior - der Vater des jetzigen Präsidenten. Wie Bush junior war Reagan ein Konservativer, der seine ideologischen Reflexe oft mit pragmatischen Kompromissen zügelte. Auch er liess sich von seinem Sendungsbewusstsein leiten, erheiterte die Medien mit verbalen Ausrutschern und verriet peinliche Wissenslücken. Wie der jüngere Bush hielt Reagan nichts von langem Aktenstudium, sondern delegierte vieles an seine Berater, was nicht immer gut herauskam, und setzte sich oft auf seine Ranch in Kalifornien ab. Aber Reagan war eindeutig der bessere Redner - als «Grosser Kommunikator» wird Bush nie in die Geschichte eingehen.
Reagan war zudem ein Selfmademan. Kein reicher und einflussreicher Vater, auch kein Studium an einer Eliteuniversität ebnete ihm den Weg. 1911 in Dixon im Mittleren Westen als Sohn eines alkoholkranken Händlers geboren, wuchs Ronald Wilson Reagan in ärmlichen Verhältnissen auf. Nach seiner Karriere als Sportberichterstatter am Radio, Schauspieler in B-Filmen und Leiter einer populären Fernsehshow stürzte er sich 1962 mit einer glühenden Wahlkampfrede für den Republikaner Goldwater in die politische Arena. Reagan galt plötzlich als Held der Partei. Schon zwei Jahre später wurde er zum Gouverneur Kaliforniens gewählt, 1968 erneut. 1976 unterlag er im Kampf um die republikanische Präsidentschaftsnomination knapp gegen den Amtsinhaber, Ford. Vier Jahre später setzte er sich nicht nur parteiintern durch, sondern erzielte auch einen Erdrutschsieg über Präsident Carter. Von einem fast tödlichen Anschlag im dritten Amtsmonat erholte er sich rasch. 1984 sicherte er sich eine zweite Amtszeit, indem er seinen Herausforderer Mondale in 49 von 50 Gliedstaaten bezwang - das beste je erzielte Wahlresultat.
Gegen Ende seiner Regierungszeit erwuchs ihm im Kongress zunehmend Widerstand. Auch sein geistiger Gesundheitszustand gab immer mehr zu reden, und 1994 wurde die Diagnose Alzheimer gestellt. Der ehemalige Western-Schauspieler verabschiedete sich von der Öffentlichkeit mit einem handschriftlichen Brief, in dem er schrieb, er beginne nun eine Reise in den Sonnenuntergang seines Lebens.